Livigno: Und plötzlich war da der See

Für Livigno war der 1968 entstandene Lago di Livigno ein Glücksfall. Plötzlich war das italienische Alpendorf durch eine Tunnelverbindung auch aus der Schweiz oder Deutschland in nützlicher Zeit erreichbar. Zu sagen haben die Einwohner in Sachen See aber bis heute nichts – was sie noch immer beschäftigt.

Der Lago di Livigno: Fluch und Segen zugleich
Der Lago di Livigno: Fluch und Segen zugleich

Eingebettet in zwei Bergkämme war das Leben im italienischen Livigno nicht immer ein Schleck. Bis in die Fünfziger-Jahre war das Hochtal im Winter jeweils für rund 6 Monate komplett von der Aussenwelt abgeschnitten, bevor die Italiener beschlossen, einen Alpenpass in Richtung Bormio auch im Winter zu räumen.

1968 kam der See – für Livigno Fluch und Segen zugleich. Denn mit der Inbetriebnahme der 130 Meter hohen Staumauer der Engadiner Kraftwerke musste das Alpendorf die Überflutung des tiefsten Teils der Gemeinde durch den Lago di Livigno hinnehmen. Dafür sorgte der nach den Bauarbeiten für den Individualverkehr freigegebene Munt-la-Schera-Tunnel auch für eine Verbindung in die Schweiz. Und damit war Livigno plötzlich auch aus Süddeutschland oder der Schweiz in wenigen Stunden erreichbar und mauserte sich rasch zu einem bekannten Wintersportort. Der Status einer zollfreien Zone, den Napoleon dem Tal bereits 1805 zugestanden haben soll, trägt auch heute noch viel zur wirtschaftlichen Entwicklung bei.

Zollfrei einkaufen in Livigno - Ohne grosse marktschreierische Plakate und Tafeln
Zollfrei einkaufen in Livigno – Ohne grosse marktschreierische Plakate und Tafeln

Duty-Free: Für einmal ohne marktschreierischen Auftritt
Zollfrei einkaufen hat denn auch noch heute einen grossen Stellenwert im Tal, wie man als Besucher schnell merkt. Immerhin: Auf der autobefreiten Haupteinkaufsmeile des Dorfes ist wenig vom marktschreierischen Auftreten anderer Zollfrei-Gebiete zu sehen. Die Markenparfums, Luxus-Uhren und Designer-Klamotten werden offenbar auch ohne die riesigen und hässlichen Werbetafeln anderer Orte gut verkauft.

Alpenfest Livigno: Das ganze Dorf ist bei der Viehschau auf den Beinen.
Alpenfest Livigno: Das ganze Dorf ist bei der Viehschau auf den Beinen.

Das liegt wohl auch daran, dass das Tal versucht, sich seine Bräuche und Feste zu bewahren. So wie etwa am fünf Tage dauernden Alpenfest, dem wohl grössten Fest der Bauern aus der Region. Was mit dem Alpabzug der Tiere beginnt, endet nach einigen Tagen mit einer grossen Viehschau und einem grossen Finale in der Mehrzweckhalle der Gemeinde: Die Prämierung der prächtigsten Tiere und die Auszeichnung ihrer sichtlich stolzen Besitzer. Begleitet von einem 4-gängigen Menu mit Spezialitäten aus der Region. Und wem das noch nicht genügt, der kann sich in der Halle auch durch die rund 30 Käsesorten aus der Region probieren oder sich zeigen lassen, wie einst Käse oder Kunsthandwerk hergestellt wurden.

1816 Bier aus der Birreria Livigno - Einmal durchs Sortiment trinken, bitte!
1816 Bier aus der Birreria Livigno – Einmal durchs Sortiment trinken, bitte!

1816 – Die höchstgelegene Brauerei Europas
Wer da gleich wieder Durst kriegt, dem sei ein Besuch im Lokal der Birrificio Livigno empfohlen, wo das 1816-Bier gebraut wird. 1816 bezieht sich dabei auf die 1816 Meter, die Livigno über dem Meeresspiegel liegt. Die Kleinbrauerei rühmt sich denn auch, damit die höchste Brauerei Europas zu sein. Wer sich durch die dort gebrauten Bierklassiker Hefeweizen, Helles, Pils und Rauchbier trinken will, kriegt zum Probieren gleich ein Glas jeder Sorte serviert. Dazu gibts jede Menge Erdnüsse direkt auf den Tisch serviert, deren Schalen man für einmal ganz ungeniert auf den Boden wischen darf.

Blick auf das langezogene Dorf Livigno am Morgen
Blick auf das langezogene Dorf Livigno am Morgen

Bei aller Lebensfreude, die die Einwohner von Livigno dem Besucher gegenüber zeigen, eines beschäftigt sie aber bis heute: „Ihr“ Lago di Livigno, der, obwohl er ihnen zu Füssen liegt, so gar nicht ihrer ist. Noch immer nämlich haben die Engadiner Kraftwerke hier das Sagen, auch wenn der See selber auf italienischem Boden liegt. Mitreden, was auf und mit dem See passiert, können die Italiener bis heute nicht. Und die Einnahmen des mautpflichtigen Munt-la-Schera-Tunnels? Auch die wandern nach wie vor in die Taschen der Engadiner Bauherren. Immerhin: Einheimische dürfen den Tunnel zum halben Preis befahren. Ein schwacher Trost.

(Disclosure: Der Aufenthalt wurde vom Fremdenverkehrsbüro Livigno unterstützt.)